Von "Null" auf "Ultra" ... oder "wenn der Vater mit dem Sohn ...." Teil 2

.... der Dieter-Plan ....

Wir steigern langsam die Dosis. Die 6 km Runde am Morgen ist schon gefühlte "Zeitverschwendung".
Dauert einfach zu lange, bis man nach dem Laufen ausgeschwitzt ist und ins Büro gehen kann. Und der Trainingseffekt ist doch auf jeden Fall größer, wenn wir längere Strecken laufen.

Müssen wir noch ganz sanft Sabine beibringen. Sabine läuft eigentlich "Chicken Run II", das sind die "Kurzstrecken-Mädels" im Freundeskreis, also noch unter Marathon ... ("Chicken Run I" sind Tina und Simone, die beiden kennen schon die Frett-Antwort: 42 ... Komma-Eins-Neun-Fünf). Sabine läuft mit uns immer die Morgenrunde, läßt sich durch unsere immer knackiger werdenden Waden- und Gesäßmuskeln motivieren.

(... also ist das Training doch "für´n Arsch"? Der Schwabe darf so was sagen, wir haben eine deftigere Aussprache ...)

Die "große Sonntagsrunde" mit 13 km ist nun unsere "normale Abendrunde". Nicht schlecht nach 6 Wochen!
Es wird bereits um 18.00h dunkel, wir laufen also mit Stirnlampe. (cool, wenn einem wenigstens einmal am Tag ein Licht aufgeht ....)
Wir üben schon den Tunnelblick. Soll sich ja bei langen Strecken einstellen, wenn man in den "Flow" kommt.

Neue Routinen erschleichen sich ihren Platz im normalen Tagesablauf (ich arbeite normalerweise nur Halbtags .... also 12 Stunden ....) Die Arbeit wird kürzer (oder ich schneller?)

Es dämmert schon. 17.00h. Dieter anrufen!

"Hi Dieter, ich bin`s. Und wie sieht´s aus?"
"Uwe, mein Bester. Alles klar. Wann geht´s los?"
"Bin gegen 18.00h zu Hause. 18.15h?"
"Bin bereit, ich warte draussen ..."

Jetzt noch Sandra anrufen. Fahrtzeit nutzen. Sonst schaffe ich das in 15 Minuten nicht.

"Hallo Schatz, bin auf dem Heimweg. Ich laufe mit Dieter um 18.15h"
"Bei dem Wetter???"
(...der Norden, unermessliche Weiten und der Regen fällt manchmal waagrecht.
Winter und Sommer unterscheiden? Im Sommer ist der Regen wärmer ....)
"Klar, kann uns in Fellbach auch passieren ..."
"Ihr seid verrückt ..."
"Bis gleich."

Heute werden wir aber wirklich gewaschen. Nach 1 km sind wir durchweicht, im Scheinwerferlicht der Stirnlampen nur undurchdinglicher Wasserfall.
(... Ihr seid verrückt ...? Vielleicht hat sie recht. ... Ja, sie HAT recht ... Fühlt sich aber gut an. Sturmfest und erdverwachsen, ja so sind wir Niedersachsen ....)

"Würdest Du jetzt gerne im Warmen vor dem Fernseher sitzen?"
"Nee, würde mir was fehlen"
(Dieter ist definitiv der richtige Partner, für so ein verrücktes Vorhaben ...)
"Was macht der Puls?"
"133 und selbst?"
"148"
(... Mann, ist der fit, der läuft doch heimlich Extrarunden???)
"Du, morgen kann ich nicht, bin bei einem Auswärtstermin ..."
"Kein Problem mein Bester, dann laufe ich morgen mal ´ne schnelle Runde"
(... ich wusste es, ich bin ihm zu langsam, der macht heimlich Extra-Training ....)
"Und, was laufen wir am Sonntag?"
"Da machen wir mal eine längere Runde. Ich hab das schon mal ausprobiert."
(... ich erinnere mich: Dieter hat mal eine 46 km Runde OHNE Trinken absolviert und dabei gelernt, dass es einen physiologisch bedingten Mindestbedarf an Flüssigkeitsaufnahme bei körperlicher Höchstleistung gibt, der alles leichter macht ....)
"Wir nehmen aber Trinken mit!"
"Klar, bin ja lernfähig!"

Sonntag
Ich nehme zwei Trinkgürtel (je 500 ml) und 2 Powergels (je 30g) mit. Die Trinkgürtel kaschieren etwas die Presswurst-Optik in den engen Tights.
(... wieso werde ich den Bauch nicht los? O.K. wiege schon 98 kg und der Fettgehalt ist auf 21% gesunken und Muskeln wiegen natürlich mehr als Fett, aber der Bauch ....)
"Moin, alles klar?"
"Alles Bestens, kann´s losgehen?"
(... bin beeindruckt: Dieter hat auch einen Trinkgürtel, immerhin nimmt er 500 ml mit ...)

KM 21
"Jetzt haben wir schon Halbmarathon. Wie fühlst Du Dich?"
"Ganz gut. Die Beine tun weh. Da waren wir in Mallorca schon im Ziel. Letztes Jahr hätte ich da nicht mehr weiter gekonnt."
"Siehst Du, das Training wirkt schon."

KM 30
Beide Trinkgürtel sind leer, die Powergeels sind auch gelutscht. Und noch ca. 6 km bis zu Hause.
"Was macht der Puls?"
" ..... einhundert .... sieben ... und fünfzig ..... und .... selbst ???"
"142, hast Du noch Getränk?"
(... Dieter kann fürsorglich sein wie eine Mutter ... 142!!!! Wie macht er das? Ist ja auch kleiner und leichter und .... fitter!!)
"Nee, habe gerade die letzte Flasche getrunken ...."
"Willst Du eine von mir?"
(... der hat doch tatsächlich bisher nur 250 ml getrunken ..... Wie macht er das? ... O.K., O.K. hatten wir schon ....)
"Her damit!"

Die letzten Kilometer sind hart. Ich bin am Limit! Dieter lobt und bremst sich ein.
"Das war doch mal ein schönes Läufchen! Schön locker, ohne Stress. Und Ich ziehe meinen Hut: 36 km, nach so kurzer Zeit. Alle Achtung. Ich muss ja bald Sondertrainings einlegen, damit Du mir nicht davonläuftst ...."
(... höre ich gerne, tut gut. ".. schönes Läufchen!" Ich bin fertig! Noch zusammenreissen und erhobenen Hauptes von Dieter verabschieden. Sieht ja super glücklich aus! So will ich auch mal nach einer langen Strecke aussehen! ....)
"Danke, ja war super! Morgen ist Montag, machen wir eine kleine Regenerationspause?"
"O.K., morgen ist trainigsfrei und am Dienstag steigen wir locker wieder ein. Kleines Abendründchen. 18.15h???"
"18.15h! Ich ruf Dich an."

Sandras Kommentar:
"Ihr ward aber lange unterwegs! Wie viel?"
"36 km, 4 Stunden"
"Super! Und wie fühlst Du Dich?"
"Ganz gut."
"Ganz gut????"
"Na, ja, die Beine tun etwas weh ..."
(... die Untertreibung des Jahrhunderts! Erst mal duschen und dann Extrementspannung ...)
"Du Mausi, das war jetzt gerade mal ein Drittel der Zeit von Fellbach! Ob Ihr das schafft?"
( ... ja, rechnen kann Sie ....)
"Klar schaffen wir das, es sind ja noch drei Monate und das war jetzt das erste Mal dass wir so lang gelaufen sind, das kommt alles noch. Ich geh jetzt duschen ...."

Und in 8 Wochen laufen wir den Hannover Marathon.

Demnächst mehr,

Euer Uwe

Foto 29

Von "Null" auf "Ultra" ... oder "wenn der Vater mit dem Sohn ...." Teil 1

... aus Spass wurde Ernst wurde Spass .....

Vor etwa 8 Monaten rief mich mein Vater Bodo, der Ultra-Langstreckenläufer, an.
Er meldet sich selten und ich freute mich sehr, als er mir eröffnete, er hätte ein Idee:
" ... irgendwann muss jeder mal nach Biel ..."
(Ach Du Schreck!)

Mir stellten sich sofort die nicht vorhandenen Nackenhaare, mir schwante Schlimmes.
Schon als Kind war "Biel" das Synonym für die Königin der 100 km Läufe. Er wollte doch nicht ... ??

Aber ich fragte ganz mutig: " Was meinst Du damit?"
"Ich würde gerne mal mit Dir in Biel laufen".
"Wann???"
"Wenn ich alt bin ..."
"Und wann bist Du alt????"
"Mit 75!"
(... der meint das ernst, kurz nachrechnen: jetzt ist er 71 Jahre, in 4 Jahren kann man theoretisch sich so fit machen, dass das geht und der Weg ist das Ziel und überhaupt ...)
".. also dann meinst Du in 4 Jahren?"
"Ja, das wäre doch toll, oder?"
(ja sicher, das wäre toll, wenn ich bis dahin das Laufen angefangen habe und meinen inneren Schweinehund überwunden habe und mit dem Rauchen aufgehört habe und .... Mann, das ist doch völlig irre!)
"Ja, das wäre toll, dann gehen wir das also an"
(.. der Weg ist das Ziel, ich kann alles schaffen, wenn ich mir das vornehme, .....und es sind ja noch 4 Jahre, da muss man jetzt keinen Stress machen ....)

Das Telefonat endete also mit einem Kommitment, dass wir zusammen Biel laufen würden. Irgendwann mal, also äh.... , weit in der Zukunft .....
100 km! In 4 Jahren!
Da viel mir der Spruch des Kaisers ein "... schau´n mer mal ..."

Nachdem ich das verdaut hatte wurde ich wieder ruhiger und das Leben ging seinen Lauf (... witzig, das sollte noch mal eine andere Bedeutung bekommen, wusste ich aber zu diesem Zeitpunkt noch nicht...)

Kurz vor Weihnachten, der Vatter ruft wieder an:

"Na Langer, war das Dein Ernst, dass wir zusammen mal ein großes Event angehen?"
(Ohje, der mein das wirklich ernst!!!!)
"Klar Vatter, kennst mich doch!"
"O.K., das freut mich, dann sollten wir vorher vielleicht mal einen kleinen Trainingslauf zusammen machen"
"Super Idee, was schwebt Dir den da vor?"
"Die 12 Stunden von Fellbach ...."
".... ..... ...."
(Oh Gott, was hat er gesagt?)
"Äh, was heißt das, Vatter? 12 Stunden von Fellbach?"
"Wir laufen 12 Stunden und ich führe Dich langsam an die Ultrastrecke ran, erzähle Dir Geschichten wie früher, wenn wir gelaufen sind und wir machen das ganz gemütlich, es drängelt uns da keiner, das Rennen geht vor allem im Kopf ab, Du musst da in Deinen eigenen Trott reinkommen und den Kopf auschalten können ...."
(... wir laufen ganz gemütlich, es drängelt uns ja keiner, ....????? das Rennen geht im Kopf ab????? In meinem Kopf geht jetzt schon die Post ab!!)
"... ähm, also wir laufen 12 Stunden? Wie viel bist Du denn letztes Jahr gelaufen?"
"Letztes Jahr habe ich 71 km geschafft und Du kannst so viele Pausen machen wie Du willst. Vielleicht wäre der 6 Stunden Lauf am Anfang doch besser ...?""
(71 km in 12 Stunden das sind sind so etwa 6 km die Stunde, wenigstens funktioniert der Kopf noch, der Dreisatz ist o.k., klingt machbar, wenn ich mal gelegentlich laufe schaffe ich mehr wie 6 km die Stunde, das ist also machbar .... Ist der 6 Stundenlauf eine Alternative? Nee, wenn schon, denn schon und jugendlicher Leichtsinn soll ja angeblich manchmal belohnt werden ....)
"O.K. ich mach mir da mal Gedanken drüber, klasse Idee. Wann ist denn Lauf in Fellbach-Schmiden?"
"Am 07.06.2008"
(Uhps, das sind ja nur knapp 6 Monate??? Das wird hart!...)
"O.K., das klingt machbar, ich laufe ja regelmäßig ...."
(... regelmäßig heißt ja deshalb regelmäßig, weil man in der Regel mäßige Strecken läuft, also so 2-3 mal die Woche 6 km um den Golfplatz ... werde ich wohl langsam steigern müssen ...)
"Wir sehen uns dann an Weihnachten ..."

Kurz vor dem Familientreffen an Weihnachten, beim traditionellen Weihnachtskick mit den alten Kumpels der Judo-Bundesliga-Mannschaft vom VfL Sindelfingen, fragt mich mein Freund Stefan "Fischi" Fischer: ".. und wie gehts Deinem Vater, läuft er noch?"

Da hab ich Ihm diese Idee mit dem 12 Stundenlauf erzählt. Sein Kommentar:

"Fendi, wenn Du da mitläufst, bin ich auch dabei. Ich kenne das Event, das wird lustig"
"Bist Du verrückt? 12 Stunden!"
"Hey, wir machen das ganz locker, Du kannst da so viel Pausen machen so viel Du willst ......!"
(...stimmt, hat der Vatter auch erzählt, muss also stimmen ....)
"... und wir machen daraus einen Bierathlon: Wir laufen 1 Stunde , machen 10 Stunden Party, saufen ein bißchen und laufen die letzte Stunde wieder, kein Stress nur Spass...."

Der Weihnachtskick endete wie erwartet: Leichte Zerrungen im gesamten Körper vom ungewohnten, übermotiverten Fußballspiel und einer Ankündigung, dass ich 12 Stunden "laufen/saufen" werde ....

Die weihnachtliche "Vatter-Version" klingt natürlich etwas seriöser:

"Vatter, stell Dir vor, der Fischi wird auch die 12 Stunden von Fellbach mitlaufen!"

Überglücklicher Vatter, super Weihnachten und das Gefühl, "... wird schon irgendwie klappen ...."

Zwischen Weihnachten und Sylvester schon mal die guten Vorsätze umsetzen und Laufen anfangen.

Morgens 6 km um den Golfplatz, 102 kg drücken gewaltig auf die Knochen, Muskelkater nach 40 min für 6 km (12-Stunden-Dreisatz: "... da bin ich ja jetzt schon schneller, wie geplant ....", also alles im grünen Bereich, und ausserdem es sind ja noch fast 6 Monate bis Fellbach ....), die Erkenntnis man nimmt nicht zwischen Weihnachten und Sylvester sondern zwischen Sylvester und Weihnachten zu ..., aber das Fett muss noch weg (23% Körperfett, will man sich bei 102 kg gar nicht als weißen Brocken vorstellen, ist ja eklig ....)

Anfang Januar, Telefon klingelt, Fischi ist dran:

"Na Fendi, was macht das Training?"
"Du, so einen halben Kasten Bier schaffe ich schon ...."
"Ja , genau deswegen rufe ich an: Das funktioniert nicht so, wie geplant. Wir müssen "richtig" laufen, sonst verliere ich mein Gesicht. Meine Freundin verlangt 100 km von mir"
(Uhps, dann wird das wohl nichts mit dem Bierathlon ....)
"Kein Problem, dann laufen wir das halt richtig, danke für die Info"
(Kein Problem! Was war das denn jetzt wieder für eine wahnsinnige Aussage! Kein Problem! Jetzt fangen die Probleme erst an!!! Erst mal die Cigarillos ins Eck werfen, ich höre jetzt sofort mit rauchen auf. So der erste Schritt ist geschafft. Und ausserdem, ich bin Problemlöser: Ich brauche da jetzt aber einen Mitstreiter, der verrückt genug ist so was zu tun, ...... DIETER!)

"Hallo Dieter, ich hab´da eine total verrückte Idee!"
"Verrückte Idee? Lass mal hören mein Bester!"

Keine 5 Minuten später ist Dieter vom "Ultra-Virus" verseucht und schmiedet schon meinen individuellen Trainingsplan (er hat schon ein paar 100 Trainingskilometer Vorsprung und muss aufpassen, dass er beim Training mit mir nicht schlechter wird. Aber ich weiss, dass er sowieso heimlich trainieren wird, und Sonderschichten einlegen wird, wenn ich nach den ersten Runden bereits relaxe ... so ist er halt.)

Auf meinem Dieter-Trainingsplan stehen 2 x morgens 6 km und zwei mal Abends 10 km. Und am Wochenende eine große Runde: 12-13 km.

Die Beine erholen sich in den ersten Wochen gar nicht mehr vom Muskelkater aber Dieter ist Motivationskünstler.

"In drei Wochen wirst Du über diese Strecken lachen, dafür wirst Du Dir nicht mal mehr die Schuhe schnüren .."
(... der hat gut reden, ich kämpfe bei 8 km gegen den Schmerz und er macht solche Sprüche, aber ich vertraue ihm, das wird schon ....)

Cigarillos schmecken gar nicht mehr. Komisch, ich rieche plötzlich, wie Raucher riechen .... Also das werde ich wohl in Zukunft nicht mehr brauchen, das Rauchen .....

......

Geht in Kürze weiter .....

Euer

Uwe

Foto 27